Wagenknechts neue Altpartei

Die Erwartungen der staatsnahen Medien an die neue Wagenknecht-Partei sind extrem hoch. Die Partei soll allein endlich schaffen, was sechs Altparteien in zehn Jahren gemeinsam nicht zuwege bringen konnten: Sie soll die AfD klein halten.

Sahra Wagenknecht, bearbeitet

Es ist schön, wenn Kinder geliebt, geschützt und gewollt zur Welt kommen. Besonders wichtig ist die Liebe und Fürsorge, wenn es sich dabei um Kinder mit schweren Krankheiten und Geburtsfehlern handelt. Bei der Progerie altern Kinder in Rekordschnelle. Mit 12 Jahren können solche Kinder wie 80-Jährige aussehen. Wer, wie die Filmfigur Benjamin Button, als Greis geboren wird, sollte in unserer erbarmungslosen Realität der Entropie aber nicht damit rechnen, wie im Film im Laufe der Zeit immer jünger zu werden. Er muss nach seiner Geburt vielmehr mit schnellem Verfall und baldigem Ableben rechnen.

Die jetzt angekündigte Wagenknecht-Partei ist ein politisches Wunschkind sondergleichen. Als Fleisch vom Fleische der Altparteien wird sie ungeschlechtlich erzeugt werden; gewissermaßen durch Zytokinese. Wie es sich gehört, werden natürlich die ganzen Initiationsriten abgehalten und Glückwunschkarten versandt werden. Doch alle Gratulanten werden beschämt und taktvoll schweigen über die traurige Tatsache, dass hier eine Greisin zur Welt kommen wird, wie das Ultraschallbild bereits jetzt klar erkennen lässt. Mit der Wagenknecht-Partei wird eine „neue“ Altpartei das Licht der Welt erblicken.

Die Erwartungen in den staatsnahen Medien an eine Wagenknecht-Partei sind extrem hoch. Die Partei soll allein endlich schaffen, was sechs Altparteien in zehn Jahren gemeinsam nicht zuwege bringen konnten: Sie soll die AfD klein halten. Seit Monaten wird Frau Wagenknecht daher gefragt, nein, vielmehr gedrängt, sich abzuspalten und eine eigene Partei zu gründen. Parallel dazu wurden Umfragen lanciert, die einer solchen Partei einen kometenhaften Aufstieg prophezeien, wie er in Deutschland nur mit dem der NSDAP in den 30er-Jahren zu vergleichen wäre. Die Sehnsucht nach starken Führer*innen scheint also hierzulande mal wieder extrem hoch zu sein. Wer hat diese Zustände eigentlich zu verantworten?

Auf der ganz rechten Seite des Parteienspektrums hat man sehr viel Erfahrung mit den verlockenden Prognosen, die potenziellen Parteiabspaltungen gemacht werden. Lucke und Petry wurden ebenfalls strahlende Solokarrieren vorhergesagt, wenn sie es allein, ohne die „lauten Trommler vom rechten Rand“, versuchen würden. Oftmals mag der Wunsch der Vater solcher Verheißungen gewesen sein. Viel öfter aber war die unverhohlene Absicht offensichtlich, den prominentesten Kopf der ungeliebten Partei bei dessen Eitelkeit zu packen und auf Abwege zu locken. Lucke und Petry sind mit ihren Parteineugründungen dann aber dermaßen krachend gescheitert, dass man sich bei Jörg Meuthens Abwanderung die Peinlichkeit weiterer Fehlprognosen lieber gleich gespart hat.

Auf der äußerst linken Seite des politischen Spektrums kann man es mit der Abwerbe-Masche aber mal erneut versuchen. Vielleicht hat man dort mehr Erfolg. Auch dort würden jedenfalls nicht wenige von einer Spaltung der greisen SED profitieren, die heute unter dem Tarnnamen „Linkspartei“ vermarktet wird. Deren zurückgebliebener, ewiggestriger Rest wäre wohl auch sehr froh, die geübte Selbstdarstellerin Wagenknecht loszuwerden. Als Preis dafür wird diese Partei, die mit historischer Schuld beladen ist, wie keine zweite in Deutschland, in den allermeisten Bundesländern und auf Bundesebene wohl kaum noch einen Fuß auf den Boden bekommen. Die allgemeine Trauer darüber wird sich wohl in Grenzen halten.

Frau Wagenknecht steht jedenfalls die Lektion noch bevor, die vor ihr bereits Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen unter Schmerzen lernen mussten: Ein prominentes Gesicht allein macht noch keine Partei, egal wie sehr dieses Gesicht die Masse der fleißigen Parteiarbeiter überstrahlt. Und reine Führer*innen-Parteien sind in Deutschland aus gutem historischen Grund (siehe oben) ja ohnehin verboten. So wird sich auch Frau Wagenknecht in die Niederungen innerparteilicher Demokratie begeben müssen und vermutlich darin umkommen. Denn auch ihr ebenfalls mit massiven Vorschusslorbeeren gepriesenes Projekt „aufstehen!“ ist 2019 ziemlich und sang- und klanglos gescheitert.

Zur Gründung einer politischen Partei gehört eben weit mehr als ein strahlendes persönliches Image. Es braucht Arbeitsbereitschaft, Talent zur Menschenführung, Dialog- und Durchhaltefähigkeit sowie in besonderem Maße eine Unabhängigkeit vom etablierten politischen System. Bei all diesen Eigenschaften bestehen doch arge Zweifel, ob Frau Wagenknecht sie in ausreichendem Maße besitzt. Die allerwichtigste Voraussetzung zur Gründung einer neuen Partei ist aber das Vorhandensein unverwechselbarer politischer Inhalte, die nicht von anderen Parteien bereits besser oder glaubwürdiger angeboten werden. Wie sieht es damit bei Wagenknecht aus?

Frau Wagenknecht kündigt jetzt als „vier Kernpunkte“ ihrer neuen Partei die teilweise durch Adjektive garnierten Substantive „Vernunft“, „Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“ an. Zur Anmeldung einer Love-Parade fehlen da nur noch „Freude und Eierkuchen“. Politisch inhaltsleerer geht es kaum.

Es gehört zur Willkommenskultur, welche die staatsnahen Medien derzeit einer Wagenknecht-Partei entgegenbringen, dass solche peinlichen inhaltlichen Blößen nicht deutlich benannt werden. Bei Fragen zu den wirklichen Themen unserer Zeit (Massenmigration, Wirtschaftskrise, Schulden, Energiepolitik und Ukraine-Krieg) bleiben Interviews mit Frau Wagenknecht immer hübsch seicht an der Oberfläche. Kritische Nachfragen, wie sie die AfD, wenn diese überhaupt mal eingeladen wird, zu beantworten hat, bleiben der dauerpräsenten Wagenknecht stets erspart.

Insbesondere wird Wagenknecht die Gretchenfrage der deutschen Politik niemals gestellt, die ein Friedrich Merz mittlerweile mehrfach am Tag zu beantworten hat: Sag, wie hältst du’s mit der AfD? Wie hältst du’s mit der Brandmauer?

Bei dieser Frage trennt sich nämlich die scheinoppositionelle Spreu vom echten oppositionellen Weizen. Wer sich am undemokratischen Ausgrenzungsspiel der Altparteien beteiligt, der gehört selbst zum Kartell, der ist Scheinopposition. Eine entlarvende Selbsteinordnung will man Frau Wagenknecht in dieser Frage wohl ersparen. Denn egal wie diese Einordnung ausfällt, könnte sie damit erhebliche Teile ihre potenziellen Wähler verunsichern.

Wagenknechts wohlfeiles Bekenntnis, die „Cancel Culture“ abzulehnen, bedeutet jedenfalls gar nichts. Denn wie Friedrich Merz es vorlebt, ist es sehr billig, diese abzulehnen, soweit sie einen selbst betrifft, und zugleich eine „Brandmauer“, also steingewordene „Cancel Culture“, gegen die einzig echte Opposition aufrechtzuerhalten. Solche Heuchelei und Doppelmoral wird von den Altmedien und Altparteien niemals entlarvt werden, da dies die Grundlage des gemeinsamen Herrschaftskartells infrage stellen würde.

Wenn Frau Wagenknecht aber nicht mindestens in der Frage von Krieg und Frieden die sachliche Zusammenarbeit mit allen gewählten Volksvertretern sucht, bleibt sie unglaubwürdig und instrumentalisiert den bedauerlichen Krieg in der Ukraine lediglich zur Erringung tagespolitischer Vorteile. Der mehr als betrübliche Zustand unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats taucht übrigens in Wagenknechts ohnehin dürftigen „Kernpunkten“ nicht mal am Rande auf. Wer aber gewählten Volksvertretern die sachliche politische Zusammenarbeit verweigert, der ist kein Demokrat, und der verweigert unserem Land das Wichtigste, was es derzeit überhaupt braucht: die demokratische Erneuerung.

Ernstgemeinte Opposition von bloßer Scheinopposition unterscheiden zu lernen, ist daher für unser Volk und Land eine Aufgabe von überlebenswichtiger Bedeutung. Jeder Bürger hat seinen Anteil an dieser Aufgabe. Dieser kleine Blog, mit seinen bescheidenen Möglichkeiten, widmet mit diesem Beitrag bereits den vierten Artikel diesem wichtigen Thema. Zwar wird sich jede Scheinopposition irgendwann von selbst entlarven, jedoch können wir es uns aufgrund der drängenden Zeit nicht mehr leisten, wieder und wieder den plumpen Lockangeboten des Altparteienkartells auf den Leim zu gehen.

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