Opposition aus der Retorte

Europaweit wiederholt sich das gleiche Schema: Drohen unbequeme Parteien eine regierungsrelevante Zustimmung im Volk zu erreichen, werden neue Parteien aus dem Hut gezaubert, die den Unmut im Volk aufgreifen, aber diesen letztlich wieder in Zustimmung zum System zurückführen. So wie die Rücktriebwege in Viehbetrieben, die den Fluchttrieb des Tieres nutzen, um es auf Umwegen zur Herde zurückzuleiten.

Der Vorrat ist schier unendlich. / Lizenz: pixabay.com

Als die FPÖ zu stark wurde, hat man in Österreich Sebastian Kurz aus dem Hut gezaubert, der mit etwas Populismus und miesen Tricks die FPÖ zwischenzeitlich klein halten konnte. Er setzte die Politik der österreichischen Altparteien in zentralen Feldern fort.

Als Le Pen zu gewinnen drohte, gab es in Frankreich plötzlich eine neue Partei „Republik en marche“, die Emmanuel Macron auf den Präsidentschaftsthron hob, wo er nun seit 2017 die Politik seiner Vorgänger in Sachen Migration und EU-Bürokratismus nahtlos fortsetzt.

Als bei der letzten Wahl in Italien ein Comeback von Matteo Salvini drohte, konnte sich plötzlich Giorgia Meloni bei den Fratelli d’Italia durchsetzen und wurde medial in die Pole-Position gehievt. Sie gewann die Wahl mit populistischen Erklärungen, die jenen von Salvini um nichts nachstanden. Es gab den Unterschied, dass über Meloni in der internationalen Presse umfänglich berichtet wurde, zwar durchaus negativ, aber das MUSS auch so sein, wenn man unzufriedene Wähler durch scheinoppositionelle Parteien für das System erhalten will. Mittlerweile hat Meloni das Schlepperhandwerk im Mittelmeer erlernt und setzt es fort. Der ukrainische Präsident Selenskyj kann sich vor Umarmungen und Unterstützung der Italienerin kaum in Sicherheit bringen. Beides wäre wohl anders gelaufen, wenn die Italiener dem Original Salvini die Treue gehalten hätten, statt sich mit dem installierten Plagiat abspeisen zu lassen.

Diese Opposition aus der Retorte ist in Nachbarländern mit etwas Abstand vielleicht sehr viel leichter zu erkennen, als im eigenen Land. Doch natürlich wird auch hierzulande mit der äußerst wirksamen Waffe der Scheinopposition operiert.

Viele Menschen haben Sorge, dass in unserem Land mittlerweile Wahlen gefälscht werden. Die Sorge kann man nicht als unbegründet abtun. Doch ginge nur ein Bruchteil jener Wähler, die diese Sorge umtreibt, am Wahlabend ins Wahlbüro, wäre diese Sorge unbegründet.

Nur wenige Menschen machen sich dagegen Sorgen um die oben aufgeführten Mechanismen. Der Selbstbetrug des Wählers, der immer wieder auf scheinoppositionelle Angebote und auch Demobilisierungskampagnen (wie „wählen bringt eh nix“) hereinfällt, stellt vermutlich das größere Problem dar.

In Deutschland gibt es dazu noch eine Besonderheit: Im europäischen Ausland musste man neue unbekannte Kräfte herbeizaubern, die nicht durch ihre bekannte Vergangenheit vorbelastet waren. Um dem deutschen Publikum den Kopf zu verdrehen, reicht es, dass Corona-Mittäter wie Söder und Aiwanger auf einer Demo eine Rede halten, die von einer Schauspielerin des staatlichen Rundfunks organisiert wurde. Nirgends reicht eine so dünne Inszenierung wie in Deutschland, um „mündige Bürger“ hinter die Fichte zu führen.

Die immer noch vorhandene Obrigkeitshörigkeit in unserem Land trat während der Corona-Maßnahmen offen zutage. Demokratie ist vielen Deutschen immer noch so wesensfremd, dass sie meinen, wenn es schon überhaupt so etwas Beunruhigendes wie politische Opposition geben muss, dann wäre es doch am besten, die Regierung erledigt das selbst mit. Und genau darin besteht das Geschäftsmodell der FDP, als Oppositionspartei innerhalb der Regierung. Und weil man die FDP in Bayern nicht so sehr mag, sind es dort eben die „Freien Wähler“, die dieses Bedürfnis nach „Opposition innerhalb der Regierung“ befriedigen. So können unzufriedene CSU-Wähler weiterhin CSU unterstützen, ohne CSU wählen zu müssen. Ein wirklich eigenes politisches Profil haben die Freien Wähler ebenso wenig wie die FDP.

Söder selbst ist im Grunde ein politischer Söldner. Politische Anliegen oder Vorstellungen, die ihn motivieren würden, sind bis heute nicht bekannt geworden. Macht ist die einzige Kategorie, in der er denkt und die ihn bewegt. Er kann ebenso gut den Impffaschisten geben, wie einen auf Corona-Amnestie und Versöhnung zu machen. Ersteres kommt seinem Naturell zwar sehr viel mehr entgegen, aber er richtet sich da ganz nach Angebot und Nachfrage. Sieht er eine lukrative politische Marktlücke, so besetzt er diese. Erkennt er einen Stimmungsumschwung – und darin ist er so gut wie kein zweiter Politiker – setzt er sich an die Spitze der neuen Bewegung. Unter den politischen Schachfiguren wäre er der Springer: Mit jedem Zug wechselt er die Farbe, auf der er steht. Seine Kunst besteht darin, das Wahlvolk glauben zu machen, er hätte seit Jahr und Tag dort gestanden. Doch vermutlich hat er sich jetzt doch erstmals vergaloppiert.

In Erding wollte sich Söder mal wieder an die Spitze der aktuellsten Bewegung setzen. Er wollte sich als größter Gegner der Grünen inszenieren; sein politischer Instinkt, dass dies beim Wahlvolk ziehen würde, ist nach wie vor untrüglich. Doch der Sprung kam etwas zu früh. Das Demonstrationspublikum ist noch lange nicht so dement, wie jene bedauernswerten Menschen, die in Sachen politischer Information allein auf Söders Majestätssender, Bayern 3, vertrauen. Söder wurde in Erding massiv ausgepfiffen. Die veranstaltende Staatsfunkerin Monika Gruber musste ihn vor dem Unmut der Demonstranten sogar in Schutz nehmen. Das ging also gründlich daneben. Das medial gezeichnete Bild von Söder als allseits geliebter Landesvater ist am Faktencheck der Realität grandios gescheitert. Sein willfähriger Opportunismus wurde öffentlich enttarnt, seine Anbiederung an die Protestszene wurde von dieser brüsk zurückgewiesen. Der „Coup“ war einfach zu plump. Das wird nachwirken.

Bei Aiwanger hat die Aktion dagegen wie gewünscht funktioniert. Vor dem Hintergrund von Söders schmachvollen Niederlage wirkte der Applaus für ihn umso authentischer. Vielleicht war das Scheitern von Söder sogar in das Gesamtkonzept dieser Propagandaveranstaltung einkalkuliert. Das kann niemand wissen. Aiwanger ist als Scheinopposition jedenfalls in Stellung gebracht worden. Die staatsnahen Medien können gar nicht oft genug wiederholen, wie sehr Aiwanger die AfD „kopiert“ und wie „rechtspopulistisch“ er argumentiert. Die Botschaft dahinter: Wenn ihr undankbaren Bürger schon unzufrieden seien müsst, dann wählt im Herbst, bitte, bitte, den Aiwanger. Der Aiwanger ist doch fast genauso böse wie die AfD. Aber wählt bitte nicht das Original, das wir am liebsten ganz totschweigen würden. Denn – und das wird natürlich nicht gesagt – mit Aiwanger kann das System leben. Mit Aiwanger bleibt für das System alles beim alten.

Warum also sollten sich die Altparteien die Hände schmutzig machen, um Wahlen zu manipulieren, solange sie noch ganz legal und in großem Stil den Wähler selbst manipulieren können? Wozu haben sie schließlich einen 9-Milliarden-schweren Propagandafunk? Um nicht falsch verstanden zu werden, Wahlbeobachtung ist in Zeiten des System- und Sittenverfalls mehr als angebracht und ein echter Dienst an der Demokratie. Und auch die AfD, als bisher unsteuerbare Oppositionspartei, sollte man nur mit der notwendigen Skepsis unterstützen. Denn es gibt keine Garantien, dass das in Zukunft so bleibt. Denn nicht nur die Versuche der Unterwanderung dieser Partei werden zunehmen, sondern auch die Verlockungen durch die Pfründe der zunehmenden Macht stellen ein nicht unerhebliches Gefahrenpotential dar. AfD-Funktionäre mit lauteren Absichten werden die Besorgnis über eine zu unkritische Etablierung innerhalb eines fragwürdigen Systems niemals als unbegründet zurückweisen. Allerdings wird jegliche kritische Begleitung der AfD völlig unerheblich sein, wenn wir die Altparteien mit ihrer künstlichen Opposition aus der Retorte weiterhin davonkommen lassen. Es ist dringend erforderlich, in der Bevölkerung das Bewusstsein für Scheinopposition weiter zu schärfen.

Noch ein Letztes: Der AfD wird zuweilen vorgehalten, selbst „gesteuerte Opposition“ zu sein. Dies ist – Stand heute – absurd. Wäre dies der Fall, dann müsste das System sie nicht mit derart brutalen und tumben Methoden bekämpfen, mit denen das aktuell geschieht. Scheinoppostionelle Parteien werden von solchen Maßnahmen verschont. Sie dürfen „AfD-Thesen“ auch in jeder Talkshow des Staatsfunks kundtun. Die AfD selbst darf das höchst selten. Die AfD ist derzeit die einzige echte Oppositionspartei.

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