Zur Distanzeritis in der AfD

Ansichten eines Parteimitglieds.

Ausgrenzung
Ausgrenzung, Quelle: pixabay.com

Geht mit anderen so um, wie ihr wollt, dass mit euch umgegangen wird. Dieser moralische Grundsatz ist eigentlich sehr leicht einsehbar. Fast jeder in der AfD hat schon mit der Nazikeule persönliche Erfahrungen gesammelt: Bewusste Missinterpretationen des Gesagten, böswillige Unterstellungen, Strohmann-Argumente, diverse Spielarten der sozialen Ächtung, Ausgrenzung, Verleumdung und so weiter. Wir alle lehnen diese üblen Methoden entschieden ab – wenn sie von außerhalb der Partei kommen.

Umso mehr verletzt es, wenn genau diese Methoden von Parteifreunden gegeneinander eingesetzt werden, meist mit dem durchschaubaren Ziel, Mitglieder politisch zu vernichten, um sich innerparteilicher Konkurrenz zu entledigen. Dass dieses Vorgehen meist auch mit allgemeiner sozialer Vernichtung des Kontrahenten einhergeht, scheint zumindest billigend in Kauf genommen zu werden. Denn wie steht wohl jemand da, der als „selbst für die AfD zu rechts“ gebrandmarkt wurde? Da verhält sich also so mancher in der AfD kein bisschen besser als der von uns kritisierte links-grüne Mainstream.

Neu ist dieses Phänomen in unserer Partei allerdings nicht: Wir haben schon unter Lucke und unter Petry jeweils eine solche Entfesselung des politisch korrekten Furors erlebt. Beide Male wurde er, unter erheblichem Kräfteverschleiß, durch den Einspruch der Basis gestoppt. Womit auch schon gesagt ist, dass diese „Säuberungswellen“ niemals von der Basis ausgehen, sondern immer von der Spitze der Partei aus betrieben werden; dort wo Berufspolitikerkarrieren geplant werden. Die Versuchung, sich die linke Mainstream-Presse zum Verbündeten im innerparteilichen Kampf zu machen, muss immens sein. Ich halte alle Vorsitzenden und Vorstände grundsätzlich für integer genug, dass niemand von ihnen sich bewusst die Linkspresse zum geheimen Verbündeten wählt. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Pfründe als Zuckerbrot und die Antifa als Peitsche zeigen auf Dauer Wirkung im Unterbewusstsein – das ist menschlich und völlig nachvollziehbar. Es ist nur allzu gut zu verstehen, dass ein solches Spannungsfeld auf Dauer mentale Verschleißerscheinungen erzeugt. Nicht zuletzt deshalb musste die AfD bisher schon zwei Mal ihre Führungsfigur austauschen. Derzeit stellt sich die Frage, ob die AfD schon wieder in die selbe Sackgasse laufen muss, nur weil sie die Ursache dieses Phänomens nicht zu erkennen gewillt oder im Stande ist.

Eine ursächliche Fehlannahme ist in unserer menschlichen Eitelkeit und Überheblichkeit begründet. Es ist die Annahme, die Politiker in den Altparteien seien grundsätzlich schlechtere Menschen als wir. Weil sie so schlecht und charakterlos seien, erliegen diese dem Gruppendruck, lassen sich gleichschalten und greifen zur plumpen Nazi-Verleumdung, um sich der Konkurrenz zu erwehren und ihre Pfründe zu verteidigen. Und was war dann mit Lucke und Petry, die den gleichen Weg beschritten? Na ja, das sind dann halt auch charakterlich unzulängliche Menschen, bei denen man das nur nicht gleich gemerkt hat. So erklärt man sich allgemein in der AfD, wie es zu dem Gesinnungswandel und der Anpassung dieser ehemaligen Lichtgestalten kommen konnte. Doch dieses Erklärungsmuster führt in die Irre und zwingt die AfD zur Wiederholung immer des gleichen Fehlers. Es grüßt das Murmeltier.

Die AfD muss endlich erkennen: Es sind nicht die Menschen, die zu schwach waren. Ich halte beispielsweise Lucke und Petry nach wie vor für grundsätzlich ziemlich charakterstarke Menschen. Es ist der Druck des Systems zur Anpassung, der nahezu unmenschlich ist. Wer sich selbst, seinen „Flügel“, seine „Alternative Mitte“ oder auch die AfD insgesamt für immun gegen die ausgefeilten Mechanismen dieses Systems hält, der hat schon verloren. Der ist dazu verdammt in die gleiche Falle zu laufen. Weder der „Flügel“, noch die „Alternative Mitte“, noch die AfD als Ganzes sind pauschal gegen den Druck, die Verlockungen und die Gewalt gewappnet, die dieses über Jahrzehnte aufgebaute Spinnennetz des Systems bereithält. Je sicherer sich einer fühlt, desto eher wird er sich einwickeln lassen. Denn die Politiker der Altparteien sind pauschal keine schlechteren Menschen als wir AfD-ler. Sie sind bloß schon sehr viel früher in diese gleichen Fallen gelaufen. Sie haben die perfiden und perversen Mechanismen des Machtsystems über Jahrzehnte hinweg tief verinnerlicht und halten sie, je nach Partei, mittlerweile für natur- oder gottgegeben.

Das Einzige, was uns eine geringe Chance verspricht diesen Mechanismen am Ende nicht zu erliegen, ist unsere noch(!) starke und aktive Basis sowie unsere starke Verankerung in der arbeitenden Bevölkerung. Diese Basis muss gepflegt und gestärkt werden, weil sie ein Bollwerk gegen die Verlockungen und Schrecken des pervertierten Polit-Systems seien kann. Denn nur die Basis wird ihre Kernanliegen im politischen Hickhack nicht dauerhaft aus den Augen verlieren. Das Gleiche gilt für die uns unterstützenden Bürger, Gruppen und Vereine. Ihre Nähe zur AfD ist grundsätzlich zu unterstützen und wertzuschätzen.

Doch das Gegenteil passiert: Mitgliederparteitage auf Bundesebene stehen kaum noch zu Debatte. Mittlerweile distanzieren sich vor allem die westlichen AfD-Funktionäre von nahezu jeglichem Bürgerprotest von Dresden bis Kandel. In der Spitze der Partei wollte man sich gar von der eigenen Jugendorganisation (JA) distanzieren und konnte nur vom Parteikonvent daran gehindert werden, der hier als Sprachrohr der Basis seine Aufgabe erfüllen konnte. Eine Welle von Partei- und Fraktionsausschlussverfahren mit zum Teil hanebüchenen Begründungen zerrüttet die Partei mittlerweile seit Monaten und lässt die gesamtdeutschen Umfragewerte von Monat zu Monat sinken. Um verdiente Mitglieder innerhalb der AfD massiver sozialer Stigmatisierung auszusetzen, reicht mittlerweile das falsche Etikett auf einer Weinflasche im Hintergrund eines Fotos. Der Vorstand lässt dies alles unkommentiert oder wirkt gar unterstützend bei der Hatz. Unter dem Druck der drohenden Verfassungsschutzbeobachtung will man vermutlich seine eigenen Hände in Unschuld waschen, indem man zur Entlastung mit dem Finger auf andere zeigt. Nach der Maxime: Also ich bin kein Nazi, aber der da, der ist Nazi. Bei nüchterner Betrachtung muss dabei doch jedem klar sein, dass unsere Gegner sich damit nie zu Frieden geben werden. Sondern sobald ein „Nazi“ (der keiner ist) abgeschossen wurde, wird der nächste „Nazi“ (der keiner ist) ins Visier genommen – Das geht solange weiter, bis man selbst, trotz aller Kollaboration, irgendwann doch an der Reihe ist.

Wie ist also innerparteilich mit Andersdenkenden umzugehen? Schließt man Menschen aus, deren Aussagen grenzwertig sind, die nicht zum Mainstream in der AfD passen? Auf dem legendären Parteitag in Essen wurde von Petry ein Versprechen formuliert, das auch nach ihrem Austritt noch Gültigkeit haben muss: Die AfD ist die Partei der Meinungsfreiheit. Es gibt in der AfD für Meinungsäußerungen „keine rote Linie außer der FDGO und dem Grundgesetz“.
Dies ist absolut und uneingeschränkt richtig. Die Politische Korrektheit ist das tiefwirkende ideologische Gift, das unserer Land zu Grunde richtet. Den herrschaftsfreien Diskurs wieder herzustellen ist grundlegend zur vollen Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in unserem Land. Ohne Freiheit ist alles nichts!

Gegen diese Grundforderung wird oft eingewendet, eine Partei sei kein Debattierclub, sie brauche Richtung und Profil. Dem ist grundsätzlich nicht zu widersprechen. Doch das Mittel, um der AfD eine klare Kante zu geben, ist auf keinen Fall das Parteiausschlussverfahren! Sondern dazu geben wir uns ein Programm. Dazu verabschieden wir Resolutionen und Forderungen. Dazu wählen wir Mitglieder in Ämter, die für uns öffentlich sprechen sollen. Dazu wählen wir Funktionsträger auch wieder ab, die nicht mehr für uns sprechen sollen. Dies alles geschieht im Rahmen einer offenen und unzensierten Debatte auf dem Boden des Grundgesetzes. Das ist gelebte Demokratie. Wer mit Parteiausschlussverfahren um sich wirft, oder wer alle möglichen Gruppierungen pauschal für „unvereinbar“ erklären will, der will diese Debatte und diesen demokratischen Prozess abkürzen oder gar umgehen. Er will sich nicht dem offenen Wettbewerb der freien Ideen und der geheimen Wahl mit offenem Ausgang stellen, sondern er will bereits vor der Wahl die Auswahl massiv einschränken. Genau nach diesem Schema agieren ja auch Merkel und die Blockparteien gegenüber der AfD. Wir müssen mit aller Kraft verhindern, dass diese Mechanismen sich in unserer Partei etablieren können.

Nun gibt es ja tatsächlich auch vereinzelte Mitglieder, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Oder vereinzelte Mitglieder, die Positionen vertreten, die mit der AfD unvereinbar sind, wie beispielsweise das propagieren antisemitischer Stereotype. Wie verfährt man nun mit diesen? Natürlich darf man dort ein Ausschlussverfahren einleiten. Doch sollte man auch hier beachten, mit anderen so zu verfahren, wie man es für sich selbst erwarten würde. Das heißt: Verleumdungen, Pauschalisierungen, soziale Ächtung etc. verbieten sich auch im Umgang mit solchen Parteigängern. Mir ist in den über fünf Jahren meiner Mitgliedschaft eigentlich nur ein Fall bekannt, wo wirklich ein tragfähiger Ausschlussgrund vorliegt, weil ich dessen Positionen für klar antisemitisch halte. Ich hatte bisher keinen Kontakt zu dieser Person, aber das kann ja auf AfD-Veranstaltungen oder Demonstrationen durchaus mal passieren. Muss ich mich dann „distanzieren“? Darf ich nicht mit diesem Mann reden? Muss ich Veranstaltungen verlassen, wenn er dabei ist? Falls er neben mir Platz nimmt, muss ich dann meinen Platz wechseln? Wenn er gar ans Mikrofon tritt, muss ich den Saal verlassen? Darf ich ihm zustimmen, wenn er zum Beispiel erklärt, dass die Grünen Deutschlands Untergang sind? Darf ich ihm die Hand geben, wenn er sie mir anbietet? Darf ich einem Antrag von ihm zustimmen, den ich sinnvoll finde? Darf ich mit ihm lachen, falls er eine guten Witz über Merkel machen sollte? Und wenn jemand gerade in dem Moment ein Foto macht, wie ich mit ihm lache, bin ich dann auch „einer von denen“? Bin ich dann automatisch auch Antisemit oder „Nazi“?

Um es klar zu sagen, Antisemitismus und jedweder Totalitarismus sind klar abzulehnen. Aber ich glaube nicht, dass man zum Antisemiten oder Nazi wird, weil man neben einem sitzt, mit ihm spricht oder ihn wie einen Menschen behandelt. Man wird nicht zum Nazi, weil man auf irgendeinem Foto drauf ist, auf dem auch ein Neo-Nazi drauf ist. Man wird nicht zum Nazi oder Antisemiten, weil man nicht bereit ist, Nazis oder Antisemiten jede Menschlichkeit abzusprechen. Man wird auch nicht zum Nazi oder Antisemiten durch ein falsches Wort, bei dem man dann angeblich sein „wahres Gesicht“ zeigt. Es gehört elementar zur Meinungsfreiheit, nicht sofort für ein falsch gewähltes Wort der totalen sozialen Ächtung ausgesetzt zu werden. Nur so ist ein angstfreier, offener Diskurs möglich, der die Grundlage jeder Demokratie darstellt. Lucke, Gauland, von Storch, Petry und andere Führungspersonen der AfD haben alle schon diese Fehlertoleranz für sich in Anspruch genommen – und das ist gut so. Denn alles andere vergiftet nur unsere Gesellschaft und ein humanes Miteinander. Dass das Gift der politischen Korrektheit und der sozialen Ausgrenzung Andersdenkender derzeit in Deutschland grassiert, ist schlimm genug. Wir sollten es in unserer Partei aber anders vorleben und eine Alternative dazu sein.


Erstveröffentlicht am 09.01.2019 auf glueckesunterpfand.de:
https://www.glueckesunterpfand.de/2019/01/09/zur-distanzeritis-in-der-afd/

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